Hallo allerseits,
ich bin ein Deutscher Schäferhund und mein Name ist Mirkor vom Parchimer Land – aber da sich das sowieso keiner merken kann, hat meine Vorbesitzerin mich kurzerhand Socke getauft. Das ist ein Sammelspitzname bei ihr und der wird immer dann vergeben, wenn klar ist, dass ein Hund garantiert nicht bei ihr bleiben wird. So auch bei mir: Ich sollte Blindenführhund werden, so besagt zumindest die Legende. Allerdings hat meine damalige Besitzerin die Rechnung ohne mich gemacht: Ich komme eigentlich aus einer Sportzucht, die ursprünglich mal nur berühmt-berüchtigte Mauerhunde gezüchtet hat und will natürlich Action! Seitdem die Mauer weg ist, braucht es auch keine Mauerhunde mehr und deshalb… aber ich schweife ab.
Ich bin am 03. Oktober 2013 geboren und begann also diese Blindenführhundausbildung, in Kooperation mit einem blinden Menschen, für den ich später arbeiten sollte. Das ist in erster Linie ein ganz fürchterlich langweiliger Bürojob, die Action, die ich mir so gewünscht hab, gab es da jedenfalls nicht. Aber als kluger Hund wird man erfinderisch und so habe ich, auf einem meiner Probeeinsätze, heldenhaft ein vierjähriges Mädchen an seinem Schwimmflügel aus einem See gerettet – und danach brach die Hölle los. Irgendwas von „sollte schwimmen lernen“, „war nicht in Not“ und „du BÖSER HUND!“. Hallo? Ich? Böse? Ich bin ein HELD! (Anmerkung dazu: Ela hat das später kommentiert mit „Er trägt eben Bomberjacke und Goldkettchen und hält sich für den Größten“ – ich halte mich nicht nur für den Größten, das ist keine Einbildung: ich BIN der Größte!) Auch meine Versuche, „meinem“ Blinden neue Kontakte zu verschaffen, indem ich unvermittelt und laut bellend entgegenkommenden Fußgängern ohne Vorwarnung vor die Füße sprang, fanden wenig Anerkennung, stattdessen hieß es für mich, ich sei dienstuntauglich und müsse weg.
Damit begann eine Odyssee, auf der ich angeboten wurde wie Sauerbier. Kann sich das einer vorstellen? Ich, der tollste Hund der Welt, soll verramscht werden? Dann hat meine Vorbesitzerin mich jemandem mitgegeben, der mein neues Herrchen werden sollte. Der war ja ganz nett, aber die dazugehörige Partnerschaft ein Alptraum. Es war klar: mit uns wird das nix. Nachdem ich ein Ultimatum gestellt hatte, wurde ich wieder von Tür zu Tür gezogen und feilgeboten.
Anfang April 2019 dann lernte ich Natascha kennen: Ich sprang aus dem Auto, sah sie an und hatte sie schon um den Finger gewickelt. Ha! Bei der würde ich bleiben. Hab mich einfach auf ihre Füße gesetzt, aber mein Zwischendrin-Herrchen hat mich wieder ins Auto verfrachtet, weil es angeblich nicht nur Nataschas Entscheidung sei, ob ich einziehen dürfe, so eine Steffi wolle da auch noch mitreden. Am gleichen Tag noch hab ich nachmittags Natascha wieder getroffen, das war toll! Aber diese Steffi war auch dabei – und die ging gleich mal gar nicht. Trat auf, als sei sie Rudelführer… Mit mir nicht! Ich hatte mir doch Natascha ausgesucht, weil sie nach einem unproblematischen Rudelmitglied aussah, das sich mir als Rudelführer schon entspannt unterordnen würde!
Dennoch hat Natascha Steffi wohl überzeugen können, dass wir es miteinander probieren. Und so bin ich am 20. April nach Hannover umgezogen. An dem Freitag sind wir lange Auto gefahren (das liebe ich) und dann eigentlich nur noch ins Bett. Der Tag war anstrengend. Am nächsten Tag wollten die beiden „nur mal kurz“ einkaufen gehen – und probieren, ob ich allein bleiben kann. Klar kann ich allein bleiben! Und Türen öffnen kann ich auch, also bin ich in den Keller und hab mich über mein Futter hergemacht und gefressen, soviel eben ging. Das wiederum fanden die beiden nicht so witzig, als sie nach Hause kamen, weil ich die Futterbox komplett zerlegt hatte… Dummerweise ist mir der Umzug auf den Magen-Darm-Trakt geschlagen und wenn ich Stress hab, krieg ich Durchfall. Nach meiner Fressattacke nicht so schön. Da es früh morgens damit losging, wollte ich die beiden aber nicht wecken und hab nur ganz leise Bescheid gesagt. Sie haben mich nicht gehört, deshalb hab ich das erst mal auf diesem hässlichen Teppich, den die haben, verteilt – als kleines Willkommensgeschenk.
Zu Beginn der neuen Woche lernte ich, dass wir gegenüber einer Grundschule wohnen. TOLL! Ganz viele kleine Kinder, die sich hektisch bewegen und mit denen ich „spielen“ kann (so nannte das meine Vorbesitzerin, Ela würde eher jagen dazu sagen…). Endlich Action! Allerdings war Steffi, die ich ja eh schon nicht so gut leiden konnte, alles andere als begeistert, als ich erst die Ohren auf Durchzug gestellt und dann eines dieser Kinder am Ärmel gezogen hab. Außerdem waren weder Natascha noch Steffi begeistert davon, dass ich Geschwindigkeit und Richtung an der Leine angeben wollte. Die etwas unbedachte Aktion mit dem Kind war jedoch der Moment, in dem die beiden beschlossen haben, sich endlich erziehen zu lassen, weil das, wie Steffi sagte, der letzte Tropfen gewesen sei für irgend so ein Fass, dass dann übergelaufen ist.
Auf der Suche nach Hilfe haben die Mädels den Tipp bekommen, doch mal mit Ela zu sprechen, die würde sich mit schwierigen Hund-Mensch-Problemen auskennen. Also haben wir einen Spaziergang mit Ela vereinbart, damit sie Natascha und Steffi einschätzen und mich kennen lernen konnte, um festzustellen, ob an den beiden noch was zu retten ist und ob sie mit mir arbeiten könnte. Wobei Natascha und Steffi behaupten, es wäre umgekehrt… Der Spaziergang war lustig, ich bin fröhlich voraus marschiert und die Mädels sind wie ein Fähnchen im Wind an der Leine hinterher geflogen. So ähnlich fliegen sie sonst nur, wenn ich einem der pöbelnden Nachbarshunde die Meinung geigen oder einer Katze über die Straße helfen will, hihi.
Die Nachbesprechung war langweilig, aber Ela der Meinung, sie kann mir helfen, die Mädels weiter zu formen.
In der ersten Übungsstunde habe ich dann leider erkennen müssen: nicht die werden geformt, sondern ich!
Natascha fing plötzlich ebenfalls an, die gegebenen Kommandos auch so zu meinen (ein Nein ist ein Nein und kein „bitte vielleicht doch nicht“) und ich musste begreifen, dass es mein Job ist, aufzupassen und zuzuhören. Kluger Kerl, der ich bin, hab ich das schnell begriffen und wir durften bald zum Bunten Hund dazu stoßen. Das war vielleicht aufregend – ich sollte gleich in der ersten Stunde über einen Baumstamm balancieren! Ging nicht, konnte ich nicht. Hab mich also einfach wie ein Steiff-Tier drauf gestellt und von Natascha und Steffi vorwärts schieben lassen…
Dank der geduldigen Hilfe von Ela ist das mittlerweile ein Klacks, wie vieles anderes auch: Ich kann an der Grundschule zu Hause nun auch bei Hochbetrieb entspannt vorbeigehen, Kinder fresse ich nur noch in meinen wildesten Träumen – und auch andere Hunde, die mich anpöbeln, lassen mich völlig kalt. Ich bin ein wahrer Musterknabe geworden und die meiste Zeit sind meine beiden Mädels anscheinend wirklich zufrieden mit mir. Die Bomberjacke und das Goldkettchen bleiben meistens zu Hause, nur an schlechten Tagen fühle ich mich damit noch etwas besser – allerdings sorgen die beiden Mädels dann dafür, dass ich die Sachen ganz schnell wieder ausziehe.
Auch in den bereits verbrachten Urlauben bin ich von den Besitzern der Ferienwohnungen sehr gelobt worden für meine gute Erziehung und den tollen Umgang. Ja Mensch, ich hab ja auch hart daran gearbeitet, dass Natascha und Steffi sich anständig verhalten. Schön, wenn diese Arbeit dann auch honoriert wird!
Allerdings kann ich sehr zum Leidwesen von Natascha und Steffi immer noch Türen öffnen: Zimmertüren, Haustüren – aber auch Schranktüren, egal, wohin und wie sie aufgehen. Der Kühlschrank ist ein toller Ort, da bewahren die beiden GANZ leckere Sachen auf. Damit sie sich aber nicht langweilen, wenn sie nach Hause kommen und der Kühlschrank mal wieder leer ist, kippe ich ihnen einfach einen Liter Milch ins Gefrierfach, während ich den Kühlschrank ausräume und rühre noch Kaffeesatz aus dem Mülleimer hinein. So haben sie Beschäftigung und ich kann nach der Völlerei in Ruhe einen ausgeprägten Verdauungsschlaf machen.
Ärgerlicherweise haben die beiden im Herbst 2019 beschlossen, als Patentanten zu einer Taufe zu fahren und das Schlimmste daran: Die beiden wollten tatsächlich ohne mich weg und ich sollte nicht allein zu Hause bleiben! Dabei kann ich mich doch selbst versorgen und Kaffee oder Tee muss ich nicht kochen können, das trinke ich eh nicht… Die beiden ließen sich jedoch nicht erweichen und haben mich zu Axel in die Pension gebracht. Mann, war ich sauer!
Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass das eine so tolle Zeit für mich wird. Ich war mit Artgenossen unterwegs, hab viel gespielt und Aufmerksamkeit gehabt. Als die Mädels mich abholen kamen, wollte ich eigentlich erst mal gar nicht wieder mit. Bei Axel war es wundervoll und die beiden hatten mich ja auch einfach allein gelassen. Pah! Aber mit ein paar Versprechungen hab ich mich dann doch locken lassen.
Axel habe ich dann erneut wiedergesehen, als es daran ging, mein laut Ela verschobenes Beuteschema in den Griff zu kriegen. Hierfür sollten wir Apportieren lernen, ein Training, das Axel mit uns gemacht hat. Am Anfang fand ich das echt total doof. Wenn die Mädels was wegwerfen, sollen sie es sich auch gefälligst selbst wiederholen. Und warum soll ich das dann auch noch festhalten, bis sie sich bequemen, mir das Geholte wieder abzunehmen? Axel hatte allerdings eine wunderbar ruhige und überzeugende Art, uns alles haarklein und geduldig zu erklären, bis auch ich das gecheckt habe und jetzt macht es sogar Spaß! Deshalb haben wir nun Dummies (Apportierkram) auch im Urlaub dabei, damit wir meinen Kopf ein wenig beschäftigen können und Spaziergänge nicht ganz so langweilig sind.
Insgesamt kann ich an dieser Stelle, auch im Namen von Natascha und Steffi, nur sagen: Mit Ela und Axel haben die beiden einen perfekten Coup gelandet! Das sind wunderbar kompetente Menschen, die wissen, wovon sie reden und es mit ihren Analogien immer schaffen, sowohl den Mädels als auch mir zu vermitteln, was sie meinen. Wir haben unglaublich schnelle Erfolge feiern können, die nachhaltig sind und keine kurzfristigen Workarounds darstellen. Mensch und Hund können von den beiden viel lernen, das Training macht immer Spaß und ist lehrreich, in der Pension sind alle Hunde super aufgehoben und werden perfekt umsorgt und ich glaube, ich kann für uns alle drei sprechen, wenn ich sage: Wir sind froh, die beiden zu haben!