Die Versorgung von Haustieren ist ein toller Job, mit sehr viel schönen Momenten und einmaligen, unvergesslichen Erlebnissen. Die Arbeit mit Tieren im Tierheim wird von Außenstehenden entweder belächelt („Toll, was Sie in Ihrer Freizeit leisten!“) oder romantisiert („Ich würde soooo gerne auch den ganzen Tag über Tiere streicheln.“).
Aber wie in jedem Job kann auch die Arbeit als Heim- und Pensionstierpfleger ganz schön scheiße (oh ja!) sein.
Eines vorweg: Ein Ausbildung als Heim- und Pensionstierpfleger dauert drei Jahre und ist ein ganz normaler Lehrberuf, der im Normalfall schlecht bezahlt wird, obwohl persönliches Engangement und Überstunden im Übermaß erwartet werden.
Ich weiß, dass viele ungelernte Menschen (im Ehrenamt oder bezahlt) in Tierheimen helfen und sich auch Tierpfleger nennen – aber der Unterschied zwischen einem Ehrenamt und einer Ausbildung wird in kaum einem anderen Beruf so sehr unter den Teppich gekehrt. Eine Ausbildung ist Gold wert – sie ist nicht ersetzbar. Auch nicht durch Berufserfahrung. Das macht ungelernte Tierpflegehelfer nicht zu schlechteren Menschen. Aber es macht Tierpflegehelfer eben nicht zu staatlich ausgebildeten Tierpflegern.
Entgegen aller Hoffnungen arbeiten ein Tierpfleger nicht nur mit Haustieren: er arbeitet vor allen Dingen mit Menschen, die Haustiere halten (wollen). Und mit jeder Menge unappetitlichen Körperflüssigkeiten im, am oder außerhalb des Tierkörpers. Auch das Töten und Verfüttern von Tier A für Tier B ist Bestandteil des Berufs, sowie tiermedizinische Assistenz bei Untersuchungen und ggfl. OP’s sind Routinearbeiten.
Das Risiko im Umgang mit Haustieren wird für Tierpfleger immer größer, in Zeiten, in denen sich Menschen giftige Reptilien, schlecht erzogene Hunde, handaufgezogene, verhätschelte Hauskatzen anschaffen und landwirtschaftliche Nutztiere, die Hörner und Frechheit besitzen, einfach raus werfen oder anbinden. Auch die Anzahl an erkrankten Tieren steigt und somit auch die Gefahr, sich mit einer Zoonose (vom Tier auf Menschen übertragbare Krankheit) zu infizieren.
Die Arbeit
Ein Tierpfleger im Tierheim hat die Aufgabe, ein Tier aufzunehmen, zu versorgen, es einzuschätzen und es an geeignete Halter weiterzuvermitteln. Ein Tierheim ist als Übergangsstation gedacht und nicht als Dauerlösung, da die Haltungsform durch die hohe Anzahl an Tierheimtieren nicht ideal sein kann.
Ein Tierpfleger hat viel damit zu tun, Menschen zu beraten – in den wenigstens Tierheimen erhalten die Angestellten aber die Möglichkeit, die Führung von Beratungsgesprächen zu erlernen, obwohl das Bestandteil der Ausbildung sein sollte. Der Umgang mit Menschen muss als Dienstleistung erlernt werden, die wenigsten Menschen können das einfach so. Die Beratung von Interessenten in Tierheimen ist deshalb häufig nicht besonders gut.
Gleichzeitig gibt es für Tierpfleger, die täglich mit emotional sehr belastenden Situationen fertig werden müssen, kaum Unterstützung vom Arbeitgeber. Wer über Jahre in einem Tierheim arbeitet, geht unter Umständen irgendwann am Zahnfleisch, wenn eine schlechte wirtschaftliche Situation, Überstunden, psychische Belastung und Stress ineinander greifen.
Der Interessent
Ein tierlieber Mensch geht in ein Tierheim, um sich ein Tier auszusuchen, dass eine niedliche, dankbare Familienergänzung sein könnte und dass gleichzeitig gerettet werden will.
Es gibt wenig Menschen, die das erste Mal ein Tierheim betreten, ohne sich sehr traurig zu fühlen. Denn ein Tierheim ist eine von vielen Resterampen der Konsumgesellschaft. Kaum ein Tier sucht dort ein Zuhause, weil die Halter zu alt, zu krank oder zu arm waren, um es zu versorgen. Statt dessen sind die Tiere ausgesetzt worden, wegen Umzug, Überforderung oder Allergie abgegeben oder dem Halter aufgrund schlechter Haltungsbedingungen weg genommen worden. Die enge und stressige Tierheimumgebung setzt einigen Insassen zusätzlich zu. Kaum ein Hund, kaum eine Katze ohne Verhaltensauffälligkeiten oder mit weniger als zwei Vorbesitzern.
Mitleid steigt im Tierheimbesucher hoch: „Ich würde alle nehmen, wenn ich könnte!“. „Einer reicht.“, denkt sich der Tierpfleger. Denn Mitleid hat noch keinem weiter geholfen, Mitleid heißt mit leiden.
Der Interessent möchte handeln, denn schließlich ist man ja extra ins Tierheim gefahren, um eine traurige Seele zu retten, die dann dankbar und sehr lieb zu einem ist und für deren Rettung man im Bekanntenkreis, auf der Hundewiese, beim Tierarzt oder in sozialen Netzwerken auch die Anerkennung erhält, die man sich wünscht. (Es gibt gar nicht so viele Menschen auf der Welt, die Tiere selbstlos, einfach so, ohne viel Worte, aus einem Tierheim abholen – aber die gibt es auch.)
Also wird der Tierpfleger gefragt, nach Tier x, das als einziges nett am Gitter oder der Glasscheibe geguckt war. Der Rest war nicht zu sehen, reserviert oder aggressiv und scheidet daher aus.
Partnervermittlung
Nicht jedes Tier, das nett guckt, ist auch das passende Haustier für jeden, den es nett angeguckt hat. Und nicht jedes Tier, dass sich zunächst ungehalten zeigt, ist ungeeignet für Halter, die ein nettes Tier suchen.
Aber natürlich ist es so: da so viele Tiere aufgrund von Überforderung ihrer Halter abgegeben wurden, ist es häufig notwendig, dass sie in erfahrene, sachkundige Hände kommen, die Durchsetzungsvermögen und auch emotionalen Abstand mitbringen.
Eine Verhaltensauffälligkeit ist noch nie weggestreichelt worden. Das funktioniert nicht bei Menschen und das funktioniert auch nicht bei Tieren. Sie muss ernst genommen werden und deshalb wahr genommen werden. Wer sie ignoriert oder klein redet, der nimmt weder den Tierpfleger, noch das Tier ernst und fällt spätestens nach der Adoption auf die Nase.
Dann, wenn das Tierheimtier sich nicht dankbar zeigt und einem weiteren Menschen anschaulich vermittelt, was das Wort „Überforderung“ alles bedeutet kann und wie schrecklich es sich am eigenen Leib anfühlt, geht der Teufelskreis von vorne los. Entweder wird das Tier (aus Schuldgefühlen heraus) behalten, die neuen Halter haben ein anstrengendes Leben und das Tier auch oder es wird wieder zurück ins Tierheim gebracht.
Vorbild
In zehn Jahren Tierpflege habe ich eine Frau kennen lernen dürfen, die einen Hund abgegeben und mich schwer beeindruckt hat. Sie hat sich für die Abgabe Zeit genommen und in einem ausführlichen Gespräch alles erzählt, was sie erlebt hatte, was der Hund erlebt hatte und warum sie nicht mehr kann. Sie hat sich entschuldigt, dafür, dass sie es nicht besser machen konnte, obwohl sie alles versucht hat.
Das habe ich davor und danach nie mehr erleben dürfen. Meistens war das Tier Schuld, es hat sich plötzlich und unvermittelt verhalten, der Züchter oder der vermittelnde Tierpfleger hatte die Eigenschaften nicht richtig beschrieben, der Vermieter hat’s verboten, der Arzt hat eine Abgabe empfohlen – nur der Tierhalter selbst, der war’s eigentlich nie.
Der Hund meines Vorbilds war nach wenigen Wochen vermittelt, das haben wir der Vorbesitzerin auch gleich mitgeteilt, damit sie wieder schlafen konnte. Und auch, wenn es sich für sie nicht so angefühlt hat – sie hat mit der Abgabe des Hundes genau die richtige Entscheidung für sich selbst, aber auch für ihren Hund getroffen. Er führt bis heute ein glückliches Leben bei glücklichen Haltern und hat alles bekommen, was er verdient. Auch dank der ausführlichen Beschreibung wussten die neuen Halter im Vorfeld sehr genau, worauf sie sich einlassen.
Tierpflegersein…
ist anstrengend – obwohl man mit der Zeit eine emotionale Distanz zu seinen Schützlingen aufbaut und sich über Weitervermittlung auch sehr lieb gewonnener Tiere freuen kann, so ist der Job im Tierheim nicht immer sehr dankbar.
Interessenten beschweren sich und nehmen es schnell persönlich, wenn man von einem ausgesuchten Tier abrät – aber ein Tierpfleger vermittelt ein Haustiere für Jahre und muss nicht nur das Tierheimtier, sondern auch das Leben des Halters bereichern. Dazu ist es sehr wichtig, bekannte Verhaltensweisen oder Erkrankungen auch unverpackt und anschaulich zu kommunizieren.
Ich saß einmal bei der Geschäftsführung, weil man beleidigt war, dass man sich einen Rottweiler nicht für einen privaten Stadtspaziergang am See ausleihen darf – um mal zu testen, ob das geht, bevor man sich entscheidet, die Verantwortung als Halter selbst zu übernehmen. Ja, es gibt auch Menschen, die sehen Tierheimtiere wie einen Verkaufswagen für eine Probefahrt. In diesem Fall stand mein Arbeitgeber hinter mir.
Als Tierpfleger versucht man, es allen Recht gleichzeitig Recht zu machen (und das, weiß ja jeder, ist gar nicht möglich): den Tieren, den Interessenten, den Ehrenamtlichen, den Kollegen, den Vorgesetzten und dem Vorstand.
Beispielhaft und in Schubladen gedacht läuft es dann in etwa so:
Interessenten und Ehrenamtliche mögen sich meist nicht, denn der ehrenamtliche Gassigänger beneidet den Interessenten, der „seinen Patenhund“ jetzt Gassi führt und ihn dann mitnimmt. Der ehrenamtliche Gassigänger wäre ja lieber Interessent, das geht aber nicht, weil die Hundehaltung nicht möglich ist, weshalb man ehrenamtlicher Gassigänger geworden ist.
Der Tierpfleger wird nicht von allen Ehrenamtlichen gemocht, weil diese immer um Erlaubnis fragen müssen, wenn sie etwas tun wollen und der Tierpfleger, im Interesse des Tieres, evtl. auch mal sagen muss, dass etwas nicht geht (weil Interessenten kommen, oder das Tier z.B. krank ist). Nicht selten unterstellt der Ehrenamtliche Böswilligkeit (und manchmal hat der Ehrenamtliche damit sogar Recht, denn es gibt ja auch Tierpfleger, die ihre Macht gerne ausnutzen, weil sie sonst nichts zu melden haben).
Tierpfleger sind auch nur Menschen und selbstverständlich gibt es auch untereinander Konkurrenzkämpfe im kleinen und im großen Stil. Obwohl man vordergründig „an einem Strang zieht“, ist hintergründig was ganz anderes los. Ein Tierheim ist eben auch nur eine Firma, in der man sich gelegentlich auch gerne mal die Köpfe einschlägt.
Ärgert man sich über einen Tierpfleger, trägt man sein Anliegen an die Tierheimleitung, ärgert man sich über ein Tierheim, trägt man sein Anliegen an die Zeitung (oder google, oder facebook, oder sonst ein Medium, das ordentliche Wellen schlagen kann). Vordergründig muss also die Leitung argumentieren, was warum schief läuft und ob überhaupt irgendetwas schief läuft. Druck wird nach unten abgegeben und da steht wieder der Tierpfleger.
Und dann gibt es noch einen Vereinsvorstand, der ehrenamtlich arbeitet und eigenen, wichtigen Berufen nachgeht. Das kann sehr gut sein, wenn ein Vorstand sich auf die Vorstandarbeit beschränkt. Ist aber selten der Fall. Meistens möchten Vorstände Dinge prägen und verändern – das läuft dann wieder über die Tierheimleitung zu den Tierpflegern. Leider fehlt dabei Fachkompetenz und Empathie gegenüber Tieren und Angestellten.
Wer also gedacht hat, ein Tierpfleger pflegt Tiere, der ist nicht auf dem aktuellen Stand – Augen auf bei der Berufswahl 🙂
Vielen Dank an alle Tierheimmitarbeiter (ob mit Ausbildung oder ohne, ob mit viel, wenig oder gar keinem Gehalt, ob in leitender oder leidender Funktion), die Haustieren Obhut geben, die keiner mehr haben will, die schwere Entscheidungen treffen müssen und die, bei allen menschlichen Schwächen und Fehlern, trotzdem immer versuchen, das Beste für Tiere und Menschen zu tun. Ohne euch, würde uns allen was fehlen, auch, wenn wir oft gar nicht merken, was ihr für die Gesellschaft, also uns, tut.