Die Beschäftigung mit Hundespielzeug sollte viel gründlicher hinterfragt werden, als es üblicherweise der Fall ist. Als Hundehalter muss man heute erklären, warum Hund kein Spielzeug hat, selbstverständlich ist nur das Gegenteil.
Das Werfen von Gegenständen macht Hundehaltern fast genauso viel Spaß wie das Fangen derselben den Hunden. Dabei ist Ball“spielen“ genau genommen eben kein Spiel, sondern eine Form von Jagdverhalten, dass der Hundehalter mit künstlicher Beute (Ball/Stock) auslöst und das vom Hund mit Hinterherhetzen/Zupacken beantwortet wird.
Das Jagdverhalten ist ein selbstbelohnendes Verhalten, also eines, bei dem Glücksgefühle frei werden die sich so gut anfühlen, dass eine Bestätigung durch den Menschen gar nicht notwendig ist. Bällchen werfen kann deshalb jeder – es ist dem Hund völlig egal, wer das tut.
Ein richtiger Bulljunkie geht für einen Ball mit jedem mit – und auch überall hin. Er (oder sie) springt für den heißgeliebten Ball sogar aus offenen Fenstern oder auf Straßen, ohne irgendetwas anderes wahr zu nehmen, als das heißbegehrte Spielzeug. Das ist eigentlich gar nicht witzig, sondern lebensgefährlich (oder zumindest nicht besonders schlau).
Trotzdem nutzen Hundehalter die Abhängigkeit ihres Hundes von Spielzeug zu ihren Gunsten aus, egal, ob im Hundesport oder im Alltag zur Ablenkung bei unangenehmen Situationen wie z.B. Hundebegegnungen. In Tierheimen werden Tierheimhunde mit Ballwerfen verrückt gemacht, damit sie „wenigstens etwas Spaß und Bewegung haben“.
Ein auf Spielzeug fixierter Hund fällt schon beim Gedanken daran in eine andere Welt. Eine Welt, in der nichts mehr zählt, außer die Aussicht auf so viele Glücksgefühle, dass sie einen richtigen Kick verschaffen. Der Hund geht über in ein Suchtverhalten, hängt fest in der Abhängigkeit nach Spielzeug und wird infolge dessen gestört in der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit.
Suchtverhalten ist krankhaft, niemals gesund und schon gar kein Spiel. Suchtverhalten beim Hund sollte kein Hundehalter bedenkenlos auslösen und somit fördern. Hundesportler sagen „Trieb macht blöd und viel Trieb macht viel blöd.“, sie kennen das Kernproblem und treffen den Nagel damit auf den Kopf.
Terrier, Pinscher, Hütehunde oder auch Rassen für den Gebrauchshundesport neigen ganz besonders dazu, Balljunkies zu sein und nie genug zu bekommen. Andere Hunde werden niemals süchtig nach einem kleinen Ding aus Kunststoff und würden dafür auch nicht ihre Gesundheit riskieren.
Nicht wenig Hunde jedoch bleiben bei einer Spielzeugsucht nicht beim Spielzeug. Sie interessieren sich bald auch für andere Bewegungsreize: dann werden z.B. Jogger, Radfahrer, Autos, kleine Artgenossen oder Schatten gejagt.
Spätestens dann merken die meisten Halter, dass mit ihrem Hund etwas nicht stimmt und sind kaum mehr in der Lage, ihn überhaupt noch auszuführen. Eine Verhaltenstherapie, um dieses verschobene Beutespektrum loszuwerden, ist schwierig bis unmöglich.
Als wäre die Sucht nach Bewegungsreizen (die gar nicht jagdbar sind) nicht schon unangenehm genug, haben viele Hunde auch großes Interesse an Quietsch-Spielzeugen. Denn das Quietschen imitiert Schreie der Beutetiere. Hunde reagieren irgendwann also nicht mehr nur auf Bewegung mit heftigem Hinterherhetzen (und ungehemmten Zubeissen), sondern sind auch schon bei quietschenden Geräuschen aus der Umwelt wie elektrisiert auf der Suche nach dem nächsten Beutereiz.
Nicht nur Quietschespielzeug quietscht. Auch Kinder kreischen und quietschen. Auch kleine Hunderassen sind häufig laut und quietschig. Immer mehr Hunde reagieren auf Säuglinge und Kinder mit Jagdverhalten und sehen sie als Beute, nicht als Menschen. Auch kleinrassige Hunde werden immer wieder totgebissen, weil sie von spielzeugverrückten Hunden für Beute gehalten werden. Die Gefahr, die von solchen Hunden ausgeht, ist unermesslich groß und bekannt aus den Medien. Fast wöchentlich findet man Artikel über Hunde, die Kinder oder Artgenossen gejagt und verletzt (oder getötet) haben.
Die Spielzeugregale in den Zoohandlungen sind dennoch vollgestopft mit Quietschies, Bällen, Tauen und reich an Kuscheltieren, die von den Plüschtieren der Kinder nicht mehr zu unterscheiden sind. Eigentlich logisch, dass ein Hund, der selbst eine Kuscheltiersammlung besitzt, nicht wissen kann, dass Kuscheltiere von Kindern kein Spielzeug für ihn sind. Trotzdem werden Kinder angesprungen und ihnen der Teddy entrissen, von fremden, freilaufenden Hunden, die das bislang „noch nie gemacht“ haben. Auch Hunde, die das „gar nicht böse meinen“, können einen sehr hohen Preis dafür zahlen. Der Anzeige folgt meist eine Gefährlichkeitseinstufung mit Leinen- und Maulkorbzwang und die Vorladung zum Wesenstest.
Nach wie vor arbeiten auch die überwiegende Anzahl an Hundesportvereinen und Hundeschulen mit Bällen als „Belohnung“. Den Hund jagen lassen, damit er belohnt wird? Wir halten das für ein sehr fragwürdiges Prinzip.
Hundehalter, die für ihren Hund Spielsachen anschaffen, möchten ungerne das sinnfreie und gefährliche Potenzial darin erkennen, selbst, wenn sie es hören oder lesen.
Meiner würde das nie tun!
Ein jagender Hund ist kein „böser Hund“. Ein jagender Hund verhält sich instinktiv und folgt einer Handlungskette, die kaum unterbrechbar ist. Fast niemand ist in der Lage, einen jagenden Hund abzurufen. Es ist deshalb nicht schlau, den eigenen Hund für freundlich zu halten und im Umkehrschluss davon auszugehen, dass ein freundlicher Hund niemals jagen würde. Jagende Hunde verletzen und töten und können trotzdem gut sozialisiert und freundlich sein.
Hunde brauchen Spielzeug zum Kauen.
Ja richtig. Welpen und ältere Hunde brauchen was zu Kauen. Das kann Wurzelholz oder ein Kautschukartikel sein. Kauartikel müssen so groß sein, dass sie nicht verschluckt werden können. Sie sollten nicht zerbissen werden und Kleinteile davon verschluckt werden können.
Alternativ freuen sich Hunde über fressbare Kauartikel vom Schweineohr über Geweih bis hin zu Rinderkopfhaut.
Fragen Sie bei Ihrer Tierarztpraxis nach Fremdkörper-Operationen. Unglaublich, was Hunde alles schon verschluckt haben. Nicht nur Socken, auch Spielzeuge müssen regelmäßig aus Hunden operiert werden, weil sie zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen geführt haben. Immer wieder verschlucken Hunde (zu kleine) Bälle, die dann in den Rachen rutschen und zum Erstickungstod führen können.
Auch Stöckchen verursachen regelmäßig schwere Verletzungen im Hals- und Kopfbereich, weil sie heftig splittern können und dann im Hund stecken.
Die Sache mit der Impulskontrolle
„Sitz! Und bleib!“ Der Hund unserer Kundin wartet, stiert den Ball an, guckt kurz fordernd die Halterin an, blickt wieder zum Ball, die Erwartungshaltung steigert sich immer weiter (der Stress auch), der Blick geht wieder zur Halterin und die Freigabe folgt „Super, los, hol ihn dir!“, der Hund schießt los und schnappt sich den Ball.
Stolz guckt die Hundehalterin uns an. „Sehen Sie? Mein Hund kann Impulskontrolle!“.
Wenn man einem nikotinabhängigen Menschen eine Zigarettenschachtel auf den Tisch legt und ihn auffordert, sich zuerst auf einen Stuhl zu setzen, dann Blickkontakt aufzunehmen und erst dann darf dieser Mensch sich die Zigarettenpackung holen – dann ist das eine Bedingung.
Impulskontrolle ist ein Teil der Selbstkontrolle, es geht dabei darum, nicht jedem Drang nachzugeben. Bei einer Sucht ist die Selbstkontrolle eben nicht im Lot.
Kontrolle hätte der Hund nur über sich selbst, wenn ein Ball geworfen wird und er sich von sich aus dafür oder dagegen entscheiden könnte. Wenn ein Hund also heute keine Lust hätte oder erkennen könnte, dass es gefährlich wäre, dem Ball hinterher zu laufen.
Es gibt Hunde mit einer solchen Impulskontrolle. Sie holen den Ball dreimal und haben dann keine Lust mehr. Sie können die Rahmenbedingungen akzeptieren oder nicht und sind frei in ihrer Entscheidung. Mit solchen Hunden kann man Bällchen werfen, ohne, dass wir das kritisch sehen würden. Sie sind jedoch die Ausnahme von der Regel (innerhalb der meisten Rassen).
Die Hunde, die sie nicht haben, sollten ausnahmslos nicht mit Beutereizen beschäftigt werden. Sie können echte Selbstkontrolle wieder in Teilen erlernen – aber sie verlernen eben nicht, dass sie früher süchtig waren. Eine Sucht ist nicht irgendwann vorbei, sie ist meistens ein Lebensthema.
Was ist Spiel?
Nichts ist schwerer definierbar, als Spielverhalten (Artikel folgt).
Wie beschäftige ich meinen Hund, wenn er kein Spielzeug mehr hat?
– Spiel mit dem Halter
– Spiel mit Artgenossen
– Suche nach Futter/Gegenständen
– Mantrailing/Fährtensuche/etc.
– lange, abwechslungsreiche Spaziergänge
– Klettern/Balancieren
– Fahrradfahren
– Hundwellness
Der Spielzeugentzug hat für Hunde den Vorteil, dass sie durch ihre Abstinenz die Welt neu und anders wahr nehmen können, sie bekommen mehr mit und können sich mit Situationen auseinander setzen, die sie vorher gar nicht bemerkt haben. Sie fahren seltener und nicht mehr so extrem hoch, in allen Bereichen. Und davon profitieren auch Hundehalter.
Und wenn die Hundebegegnungen ohne Ball nicht zu ertragen sind, führt kein Weg um Training bei Kollegen, die ohne Spielzeug arbeiten. Hundeerziehung macht nicht immer Spaß, Erziehung ist kein „Ballspiel“, sondern ein dauerhaftes, lebenslanges Gespräch zwischen Hund und Halter.
Richtig toll geschrieben, auf den Punkt gebracht. Muss ich mich auch stets dran erinnern und erneut ins Gespräch gehen.
Super
Toller Artikel! Das wollen die meisten nicht hören, denn Sozialkontakt und Raufen ist ja das Gegenteil von an der Leine laufen und funktionieren. Wer keinen Ball hat muss selber springen und spielen, ich und meine Hunde finden das sehr toll und die Beziehung ist ausgesprochen eng. Ein tolles Geschenk für alle im Rudel.